Erfahrungsbericht Rhesusunverträglichkeit, Prophylaxe - Versagen, Anti-D

Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, als ich hier im Forum meine ersten ziemlich verzweifelten Beiträge erstellt habe, in der Hoffnung, so Erfahrungsberichte von anderen betroffenen Frauen und ein paar Infos zu finden - leider ziemlich erfolglos. Ich erhielt viel Mitgefühl und aufbauende Worte, aber wirklich weiterhelfen konnte mir Keiner. Daher spiele ich schon länger mit dem Gedanken, unsere Geschichte noch einmal komplett zu erzählen. Jetzt wo sich gerade so vieles jährt ist sie wieder sehr präsent für mich.
Ich weiß, dass es hier zum Teil noch viel schlimmere Schicksale gibt, aber ich hoffe so Frauen zu erreichen und ein bisschen helfen zu können, die sich genauso hilflos, verzweifelt und von Ärzten im Stich gelassen fühlen wie ich vor einem Jahr.
Anbei noch eine TRIGGERWARNUNG. Solltet ihr Rhesus-negativ sein und zu der Sorte Schwangere gehören, die sich schnell Sorgen auch über sehr unwahrscheinliche Szenarien machen, dann entscheidet bitte selbst, ob ihr ab hier weiterlesen wollt.

Die SS mit meinem ältesten Sohn war ein Traum. Es ging mir, abgesehen von der anfänglichen Übelkeit blendend, ich freute mich auf unser erstes Kind und alle Untersuchungen inkl. Antikörper-Suchtests waren immer unauffällig. Da ich rhesus- negativ bin, erhielt ich zu Beginn des dritten Trimesters standardmäßig die Prophylaxe-Spritze (den Bluttest fürs Kind gab es da noch nicht) So weit, so unauffällig. Die Entbindung selber war nicht komplikationsfrei und endete in einer Sectio, aber der richtige Hammer folgte im Aufwachraum "Der brauchen wir keine Rhesusprophylaxe mehr geben, die hat schon Antikörper" hörte ich die Schwester zum Kollegen sagen. Da war mir noch nicht klar, was das bedeuten würde. Die Visite am nächsten Tag fiel nüchtern aus "Leider hat bei Ihnen wohl die Rhesusprophylaxe versagt, warum wissen wir nicht. Sie müssen das wissen, denn in Folgeschwangerschaften kommt es oft zu schweren Komplikationen, die Kinder können dabei im Bauch oder kurz nach der Geburt versterben". Mehr Infos gab es nicht. Meinem Sohn ging es soweit gut, er musste nur wegen Gelbsucht behandelt werden und am 5. Tag gingen wir heim. Mein niedergelassener Gyn konnte mir ebenfalls nicht weiterhelfen und glaubte zunächst an einen Laborfehler, weil die Prophylaxe ja korrekt verabreicht wurde. Diese Hoffnung zerschlug sich leider schnell. Ein halbes Jahr quälte ich mich mit Fragen wie: Hätte ich das merken müssen? Hab ich etwas falsch gemacht? Kann ich jetzt nie wieder gesunde, lebende Kinder bekommen? Dann meldete ich mich in der nächstgelegen Uniklinik und bat um einen Beratungstermin. Beste Entscheidung überhaupt. Der leitende Oberarzt der Pränatalambulanz war ein Engel in weiß, nahm sich viel Zeit und endlich, endlich bekam ich auch ein paar Antworten. Am ehesten hatte ich wohl eine feto-maternale Makrotransfusion, bei der mehr kindliches Blut in meinen Kreislauf gelangte, als die erste Spritze neutralisieren konnte. Das passiert völlig unverschuldet, unbemerkt und ist super-super selten...aber irgendwen trifft es halt immer. Er machte mir Mut, dass die erste SS nach der Sensibilisierung meist noch recht glimpflich verläuft, da sich die Immunantwort langsam - von SS zu SS - aufbaut, dass man eine durch die Antikörper ausgelöste Anämie beim Kind durch Doppler-Kontrollen gut erkennt und dass man im schlimmsten Fall dem Kind bereits im Mutterleib eine Bluttransfusion (eine sog. intrauetrine Transfusion) geben könnte. Zudem ergab ein Bluttest bei meinem Mann, dass wir eine 50:50 Chance auf ein Rhesus-negatives Kind hätten; dem die Antikörper überhaupt nichts ausmachen würden. Und so haben wir uns doch getraut, noch mal schwanger zu werden.

Die SS mit meiner Tochter verlief wie prognostiziert recht harmlos. Leider stellte sich in der 12. SSW zwar heraus, dass sie ebenfalls rhesus-positiv sei; aber mein Titer blieb konstant niedrig. Alle zwei Wochen wurde geschallt und gedopplert, alle vier Wochen mein Blut kontrolliert. Psychisch war es natürlich belastend, denn ich wartete quasi nur darauf, dass die Antikörper irgendwann Gas geben würden und hatte Todespanik vor einer intrauterinen Transfusion. Die Titer stiegen aber erst ab der 34. Woche und erst in der 38. Woche hätte Handlubgsbedarf bestanden, so dass sie gut 2,5 Wochen vor Termin mit KS geholt wurde. Es ging ihr gut, sie hatte starke Gelbsucht und musste 5 Tage unter Blaulicht und war danach unter stationärer Beobachtung, aber nach 10 Tagen durften wir gesund und munter heim.

Ein Jahr später wurde ich etwas überraschend wieder schwanger- und dieses mal passierte, wovor ich solche Angst gehabt hatte. Bereits in der Frühschwangerschaft stieg mein Titer stark an. Die Möglichkeit, dem Kind eine Transfusion zu geben besteht aber erst ab der 20. SsW und ist auch dann sehr riskant. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich kaum Hoffnung auf ein Happy End. Aber mein Engel in weiß wusste Rat: Ich bekam hochdosiert Immunglobuline, die sollten mein Immunsystem quasi ablenken, und den Übertritt der Antikörper durch die Plazenta erschweren. Ab da war ich jede Woche einen kompletten Tag im Krankenhaus. Die Tage nach den Infusionen ging es mir nicht besonders - Fieber, Schüttelfrost, Kopf-und Rückenschmerzen...meine Kinder, gerade 3 geworden und 13 Monate alt verstanden die Welt nicht mehr. Aber es zeigte die gewünschte Wirkung. In der 20. Woche wurde die Behandlung mit Erreichen der Transfusionsfähigkeit eingestellt und erstmal blieb alles stabil, jede Woche wurde alles genau kontrolliert. In der 28. Woche gaben die Antikörper erneut Gas und ab da war nicht die Frage ob, sondern wann ich transfundiert werde. Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie wir durch diese Zeit gekommen sind. Alle zwei Tage stand ich mit gepackten Koffern im Krankenhaus und immer hieß es, "es ist etwas schlechter bzw. es ist grenzwertig, in zwei Tagen schauen wir noch mal", da man den Eingriff so spät wie irgendwie möglich machen wollte. Daheim musste der Laden weiter laufen, und ich hatte so Angst um mein Kind, dass immer schwächer wurde und sich immer weniger bewegte in meinem Bauch. Als die erste Transfusion in der 32. Woche fällig war, war ich vor allem erleichtert, obwohl ich im Vorfeld solche Angst davor hatte.
Dazu hatte ich schon mal einen Bericht geschrieben https://www.urbia.de/forum/2-schwangerschaft/5742619-erfahrungsbericht-nabelschnurtransfusion
Ich war sogar erstaunlich gelassen, fast abgebrüht, aber ich glaube ich war auch einfach nur noch körperlich anwesend. Es ging alles gut, ich erhielt vorsorglich die Lungenreife und blieb eine Nacht zur Beobachtung und in der 34. Woche wurde der Eingriff wiederholt. Dieses Mal ließ ich mich ein paar Tage vorher stationär aufnehmen, nervlich konnte ich einfach nicht mehr und war froh, dass 3 x täglich CTG geschrieben wurde. An 36 +0 kam mein Sohn per KS zur Welt - so geburtsreif wie möglich, aber ohne ihn dem Risiko in meinem Bauch länger auszusetzen.

Ganz ausgestanden war die Sache damit noch nicht, denn die Antikörper bleiben ja noch eine Weile im Blut. Er musste auf die Neo, bekam Phototherapie, Immunglobuline, eine weitere Bluttransfusion und hatte als spätes Frühchen noch etwas Probleme beim Atmen. Das wurde mit Coffein behandelt und bei der Entlassung nach 10 Tagen erhielten wir sicherheitshalber einen Heimmonitor, der aber schnell nicht mehr nötig war.
In der 5. und 10. Lebenswoche mussten wir erneut stationär für Bluttransfusion Nummer 4, 5 und 6. Als er vier Monate alt war, hatte sich sein Blutbild endlich stabilisiert, und ab diesem Zeitpunkt war unser Emil (was "der Kämpfer" bedeutet) ein aufgewecktes, fröhliches Baby. Alle Folgeuntersuchungen (z.b. Kardiologe) waren komplett unauffällig und Langzeitfolgen sind nicht zu erwarten.

Wir sind den Ärzten und anonymen Blutspendern jeden Tag aufs Neue dankbar. Ohne sie wäre unser Jüngster nicht hier. Auf unsere Geburtskarten haben wir einen Bibelvers drucken lassen:

"Die Liebe erträgt Alles, glaubt Alles, hofft Alles. Die Liebe hält allem stand."

Man kann so viel mehr bewältigen als man ursprünglich von sich denkt. Auch wenn ich jeder Schwangeren einen einfacheren Weg wünsche, so hat man trotz der - mit Verlaub besch****nen Diagnose - dank der modernen Medizin sehr gute Chancen auf ein Happy End und gesundes Kind; auch wenn es Zeit und Nerven kostet.

Solltest du bis hier durchgehalten haben: Danke fürs Lesen :) Und solltest du Betroffen sein: Alles Gute. Man schafft das.

Bearbeitet von Maximama90
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Was mich als erstes Interessiert, bin auch rhe. Neg., wie wurde das mit den Antikörper festgestellt ?
Ich hab nach der Geb. Einfach direkt ne Spritze bekommen, von Blutt3st weiss ich nichts

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Der Frsuenarzt führt bei Rhesus negativen Frauen am Anfang und in der Mitte der Schwangerschaft einen Antikörpersuchtest durch (eine Blutuntersuchung).

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Man hat in der SS im Rahmen der Blutabnahmen zum ersten und zweiten Trimester standardmäßig immer einen Antikörper-Suchtest dabei. Das wird auch in den Mutterpass eingetragen, nur erwähnen es die Ärzte nicht groß wenn alles unauffällig ist.

Bei Geburt ist ein weiterer Antikörper-Suchtest ebenfalls Standard, da bekommt man ja meist im Kreissaal schon oder spätestens auf Station Blut abgenommen. Meistens ist im Entlassbrief irgendwo unter den Laborparametern dann der Vermerk AK-Suchtest: negativ zu finden.

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Liebe Maximama90,
Fühl dich gedrückt!
Du hast es so toll geschrieben und wiedergespiegelt - ich hoffe wir können noch vielen verzweifelten Schwangeren mit dieser Diagnose Infos und Mut geben.
Aber ihr habt es geschafft! DU hast es geschafft!! Und mich gleichzeitig noch während meiner Schwangerschaft begleitet und dafür bin ich dir unendlich dankbar 🤗

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Das kann ich nur so zurückgeben💕